Dann rufe ich deine Eltern an
Das kennen wir alle, die in der Schule arbeiten: Ein SchĂŒler/eine SchĂŒlerin stört den Unterricht. Ist aggressiv. Frech. Faul. UnzuverlĂ€ssig. Oder benimmt sich sonst in der Schule daneben. Dann greifen wir zum Hörer: "Ich rufe deine Eltern an!"
Dieser Satz ist eine Mischung aus Drohung, Empörung und Beschwerde. Und genauso sprechen wir am Telefon. Und am anderen Ende der Leitung? Betroffene Eltern. Verunsichert. EnttĂ€uscht. Weil: âZuhause gibt es keine Probleme!â
Sie reden ihren Kindern ins Gewissen. Das hilft. Manchmal. FĂŒrs Erste jedenfalls.
Doch beim fĂŒnften, zehnten, dreiĂigsten Anruf dreht sich die Situation: âWas soll ich denn machen?â âIch schimpfe, gebe ihm/ihr Strafen, aber das nĂŒtzt alles nichts!â âIch will gar nicht mehr ans Telefon gehen, wenn die Schule anruft!â
Sehr hĂ€ufig gehen die Eltern dann zum Gegenangriff ĂŒber - sie beschimpfen die Schule und die Lehrer/-innen. So nehmen Schuldzuweisungen immer mehr Raum ein und gehen hin und her.
Dahinter steht Hilflosigkeit, auf beiden Seiten der Leitung.
Wie gelingt eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Eltern?
Grundlage ist ein professionelles SelbstverstĂ€ndnis: Wir sind PĂ€dagogen und PĂ€dagoginnen und damit âProfis in der Erziehungâ. Wir begleiten junge Menschen auf ihrem ersten Arbeitsplatz und geben hier den Rahmen vor. âIch als Lehrerin gebe den Raum fĂŒr Verhaltensweisen.â sagte mir einmal eine Kollegin. Ich zitiere sie oft.
FĂŒr eine gute schulische Arbeit brauchen wir einen angemessenen Informationsaustausch mit den Eltern: Wie verhĂ€lt sich das Kind in der Schule? Welche Probleme erleben wir? Was sind seine StĂ€rken? Und: Bestimmte Verhaltensweisen können wir nicht akzeptieren!
Und umgekehrt von Seiten der Eltern: Wie erleben sie ihr Kind zu Hause? Erleben sie die problematischen Seiten des Kindes auch? Welche Auswirkungen hat der Schulalltag auf das Kind?
Wir brauchen aber auch Klarheit ĂŒber den Kompetenzbereich der Schule. âMein Kind kann nicht neben XY sitzen!â âBei diesen Spielereien in der Schule lernen die Kinder ja nichts!â
Das sind Einmischungen, denen wir mit höflicher Entschiedenheit begegnen sollen. Es ist wichtig, dass ich als Lehrerin weiĂ, wenn ein Kind in der Schule oder zu Hause nicht zurechtkommt. Aber es ist mein Job, die Konsequenzen daraus zu ziehen.
Eine wichtige Frage ist, wieviel Handlungsspielraum die Eltern haben. Wenn Eltern mit der Erziehung ohnehin schon ĂŒberfordert sind, besteht die Gefahr, dass die Interventionen der Schule zu zusĂ€tzlichen Belastungen im Familiensystem fĂŒhren.
Gerade bei solchen Eltern ist es wichtig, dass sie Vertrauen in unsere Arbeit bekommen. Wir gewinnen sie oft, wenn wir einen Plan haben. Ideen, wie es gehen kann und vielleicht ein paar Erfolge.
Heikel ist es, wenn es um schadendes Erziehungsverhalten geht - von Seiten der Eltern, aber auch von Seiten der Schule oder einzelner Lehrpersonen. Hier braucht jede einzelne Situation achtsames, aber auch klares Vorgehen, getragen von der Verantwortung, dass wir fĂŒr die Kinder Vorbilder sind und die Aufgabe haben, sie zu schĂŒtzen und zu fördern.
Und manchmal scheitern...
Mir ist es immer wieder eine lustvolle Herausforderung, wie es gelingen kann, Eltern, die mit der Schule gar nichts zu tun haben wollen, zu GesprĂ€chen zu einem an sich schwierigen Thema einzuladen: Irgendetwas klappt nicht in der Schule mit dem Sohn oder der Tochter. FĂŒr diese GesprĂ€che habe ich eine entwaffnende Eigenschaft: VerstĂ€ndnis.
So ist eine meiner ersten Fragen: Wie geht es Ihnen, wenn Sie jetzt hier sitzen? Und ich verstehe es, wenn die Antwort ist: schlecht. Es ist fĂŒr Eltern immer wieder ein Stress, wenn Schule fĂŒr ihre Kinder nicht gelingt. Aber wenn sich die Eltern verstanden fĂŒhlen, können wir darĂŒber reden, wie Schule fĂŒr ihr Kind gelingen kann.
Doch dann gibt es den Vater, der ĂŒberhaupt kein Vertrauen zu mir aufbaut und es auch beim fĂŒnften GesprĂ€ch geschafft hat, mich wortreich dominant derart in die Enge zu treiben, dass ich ein viel zu langes und viel zu intensives TelefongesprĂ€ch mit ihm gefĂŒhrt habe. Jetzt sind Vater und Sohn umgezogen - ein anderer Ort, eine andere Schule, eine andere Betreuungslehrerin. Ich muss schmunzeln, wenn ich die Geschichten rund um den Sohn von meiner Kollegin höre. Manches wiederholt sich und doch hat sich was verĂ€ndert: Sie hat eine bessere Basis mit dem Vater.
So ist es. Scheitern gehört dazu. Weil wir eben Menschen sind und mit Menschen arbeiten.
Schule "hautnah": Ungeschminkte Geschichten aus dem Schulalltag.
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